Finnlands Geburtenrate sinkt trotz üppiger Förderungen: Was sind die Gründe?
Die Politik rätselt über den niedrigen Wert von 1,26 Kindern je Frau.
HELSINKI. Trotz einer im EU-Vergleich üppigen Förderpolitik ist die Geburtenrate in Finnland auf ein Rekordtief gefallen. Die Politik rätselt über den niedrigen Wert von 1,26 Kindern je Frau. Damit die Bevölkerungsgröße konstant bleibt, ist eine Geburtenrate von 2,1 nötig. Die Forschungsleiterin bei der finnischen Familien-Föderation Väestöliitto, Venla Berg, erklärt den Rückgang gegenüber der NZZ mit verschiedenen Faktoren. Zum einen habe sich das Beziehungsverhalten verändert: „Paare, die in den 1990er Jahren oder später geboren wurden, ziehen heute später zusammen, als dies bei älteren Generationen der Fall war.“ Partnerschaften endeten heute häufiger in einer Trennung. „Junge Erwachsene träumen nicht mehr automatisch von einer Familie.“
Zum anderen spielten verschiedene weitere kulturelle Faktoren eine Rolle. „Wir gehen davon aus, dass die Smartphones und die sozialen Netzwerke eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung spielen.“ Diese seien Zeitfresser und würden jungen Menschen eine Entscheidung zwischen „einem chaotischen, anstrengenden und langweiligen Familienleben und Cocktails im Infinity-Pool“ vorgeben.
Identitätsschwäche und -störung?
Auch die Dating-Apps spielten eine Rolle, da sie ein nahezu unendliches Angebot an potenziellen Partnern suggerierten. Ähnliches vermutet der Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz im Interview mit dem Onlinemagazin Corrigenda: „Animiert durch die Möglichkeit, online viele, viele Menschen zu finden, gibt man sich auch die Zeit für Beziehungsarbeit nicht. Das halte ich auch für eine normopathische Folge der bei vielen Menschen angerichteten Identitätsschwäche und -störung, dass man jetzt glaubt, man müsse nur den richtigen Partner finden, der einzig und allein in Frage kommt, aber den gibt’s sowieso nicht. Jede Partnerschaft ist eine Arbeitsgemeinschaft. Ja, man muss sich kennenlernen, man muss sich mitteilen, man muss sich anpassen, muss sich entwickeln, und das braucht Zeit, und diese Zeit nehmen sich heute viele Menschen nicht mehr, weil sie enttäuscht sind, dass das eben auch Mühe macht und auch Selbsterkenntnis fordert.“
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